Eigentlich wollte Anika am liebsten in ein Workcamp in Italien oder Portugal. Dort gab es allerdings keine freien Plätze mehr, und so landete sie bei ihrer dritten Wahl - auf dem Schloss Hartenberg in Tschechien. Warum gerade unerwartete Erfahrungen oft die besten Erinnerungen mit sich bringen, berichtet sie hier:
"Ahoj Tschechien!
"Hast du da Verwandte? Was machst du in Tschechien?", war die Frage, die mir alle gestellt haben und die mir am Anfang auch durch den Kopf ging. Meine erste Wahl waren Camps in Italien oder Portugal, doch leider waren dort bereits alle Plätze vergeben. Tschechien war somit die Chance doch noch an einem Workcamp teilzunehmen. Ich hatte im Voraus ein Infosheet der tschechischen Partnerorganisation bekommen und Kontakt mit einer der Campleiterinnen aufgenommen, um über den Zeitpunkt meiner Anreise zu informieren. Ansonsten hatte ich jedoch keine besonderen Erwartungen. Mit vollgepacktem Rucksack saß ich bei über 30 Grad im Zug und als ich über die Grenze fuhr, wurde es schon bald immer ländlicher.
Mitten im Wald
Vier Haltestellen vor meinem Ziel fuhr der Zug plötzlich nicht mehr weiter, stattdessen war ein Schienenersatzverkehr eingerichtet worden. Mitten im Wald musste ich dann erneut in einen anderen Bus umsteigen und war mir die ganze Fahrt über nicht sicher, ob ich meinem Ziel auch nur ansatzweise
näher kam, da niemand der englischen Sprache mächtig zu sein schien. An einer verlassenen Kreuzung musste ich schließlich aussteigen und nach kurzem Telefonat mit der Campleiterin noch den letzten Kilometer zu Fuß zurücklegen. Ich war die erste Teilnehmerin die eintraf und konnte mir so in Ruhe unser neues Zuhause für die nächsten drei Wochen anschauen, mich von der Fahrt erholen und die ersten Eindrücke verarbeiten. Ich war nicht weit von der deutschen Grenze entfernt und kam mir doch vor wie in einer anderen Welt.
Bis zum Abend waren zehn weitere Freiwillige angekommen und bis auf zwei Jungs aus Georgien, die aufgrund von Problemen mit ihrem Flug erst am nächsten Tag ankamen, war die Gruppe komplett. Alle waren ziemlich müde, weshalb wir nur noch zusammen saßen, um uns bei einem gemütlichen Glas Wein kennenzulernen und herauszufinden, mit welcher Motivation jeder Einzelne in das Camp gekommen war. Unsere Gruppe bestand aus fünf Jungs und zehn Mädels aus Tschechien, Polen, Albanien, der Türkei, Georgien, Frankreich, Spanien und Deutschland, im Alter von 18 bis 28 Jahren.
Sechs Katzen, ein Hund, zwei Esel, zwei Schafe, Hühner und wir
Wir wohnten in einem Haus mit einem großen Raum im zweiten Stock, der uns als Schlafplatz diente, und einem Wohn/Esszimmer mit Küche im unteren Bereich. Dusche und WC befanden sich in einem Container außerhalb des Hauses. Wir hatten sechs Katzen, einen Hund, zwei Esel, zwei Schafe, und Hühner, die nach kurzer Zeit auch nicht mehr wegzudenken waren. Es waren sehr einfache Lebensverhältnisse, bei Sturm regnete es immer durch das undichte Dach und wir alle hatten auch schon sauberere Unterkünfte erlebt. Nach ein paar Tagen fiel einem das jedoch gar nicht mehr auf. Jeden Mittag wurden wir von einer Frau aus dem Dorf mit typisch tschechischer Küche verwöhnt und für Frühstück und Abendessen war auch immer gesorgt, sodass wir es auch einmal schafften, neben dem normalen Mittagessen an einem Tag 90 Brötchen zu verdrücken. An manchen Abenden hatten wir das Glück ein typisches Gericht oder Getränk aus einem unserer acht Heimatländer probieren zu können – was alle mochten war jedoch klar: "Pivo". Bier gab es in jeder Situation und zu jeder Tageszeit.
Das Schloss Hartenberg
Am ersten Tag waren wir in der Umgebung unterwegs (da unsere Hütte sich ja mitten im Wald befand) und die Kommunikation auf Englisch war für alle noch sehr ungewohnt. Oftmals fehlten uns aufgrund unserer unterschiedlich guten Englischkenntnisse schlicht die nötigen Worte. Am zweiten Tag bekamen wir eine Einführung in die uns bevorstehende Arbeit, die hauptsächlich darin bestand, die Überbleibsel eines verschütteten Teils des Schlosses in unbrauchbaren Schutt und noch verwendbare Steine zu sortieren. Später räumten wir auch einen Raum des Schlosses leer, der teilweise verschüttet und komplett mit Pflanzen überwuchert war, begradigten den Boden in einem anderen Raum, reparierten den Zaun der Pferdekoppel im Dorf oder dekorierten einen Teil des Schlosses für eine Messe, die dort einige Tage später stattfand.
Jeden Tag konnten wir uns unsere Arbeit selbst aussuchen und wer wollte hatte z.B. auch die Möglichkeit, einen Artikel über die Burg Hartenberg zu schreiben, das Schloss zu malen, oder einen Liedtext zu dichten. Diese Möglichkeit von "intellectual work" kam uns erst komisch und sinnlos vor, wurde dann aber gerne genutzt und brachte eine Menge Spaß. Ganz nebenbei ermöglichte es uns auch die genauere Auseinandersetzung mit unserem Projekt und den damit verbundenen Erwartungen und Zielen. Da die englische Sprache gegen Ende der ersten Woche bereits kein Problem mehr darstellte, machte nun auch die körperliche Arbeit Spaß. Leider hatten wir schlechte Arbeitsmaterialien, so u.a. eine Schubkarre, die beim Ausleeren immer in zwei Teile zerfiel und manch kreative Idee von uns erforderte, um eine Fortsetzung der Arbeit zu ermöglichen.
Kanufahren, Stadttouren und Lagerfeuer
Nach der Arbeit waren wir fast immer unterwegs, unternahmen viele Wanderungen in die Umgebung, gingen Heidelbeeren sammeln, waren Kanufahren und Reiten, erhielten eine Führung durch eine Brauerei, besuchten zwei bekannte tschechische "Kurorte", Marianske Lazne (Marienbad) und Karlovy Vary (Karlsbad), verbrachten eine Nacht bei den Eltern einer unserer Campleiterinnen oder kehrten abends in den Pub des nächsten Dorfes ein. Meistens saßen wir jedoch alle vor unserem Haus und redeten, auch zusammen mit den Tschechen, die auf der Burg arbeiteten und dort oder in der näheren Umgebung lebten. In der letzten Woche fielen die Temperaturen und es kühlte auf bis zu 5° Celsius ab. Nun verbrachten wir die Abende mit viel Tee am Lagerfeuer und heizten nachts den Kamin an, um schlafen zu können. Dadurch wurde es auch zu einer ziemlichen Herausforderung, morgens wieder aus dem Schlafsack zu kriechen.
Multikultureller Campalltag
Um während dem Camp aus jedem der in unserer multikulturellen Truppe vertretenen Länder etwas mitnehmen zu können, erstellten wir, neben dem gemeinsamem Flaggenmalen, eine Liste mit den wichtigsten Worten der einzelnen Sprachen. Einige waren sich sehr ähnlich und wiesen z.B. vergleichbare Worte mit unterschiedlichen Bedeutungen auf, während andere für die übrigen Nationen witzig klangen. Ganz nebenbei hatten erstaunlich viele Campteilnehmer Deutschkenntnisse vorzuweisen. In bestimmten Situationen unterhielten wir uns auch über Bräuche oder bemerkten, nur durch das Verhalten jedes Einzelnen in der Gruppe, wie sich einzelne Klischees, u.a. über Pünktlichkeit oder Ordentlichkeit, bestätigten. Die verschiedenen, auf so engem Raum aufeinander treffenden Mentalitäten und Persönlichkeiten führten leider auch zu der ein oder anderen Auseinandersetzung, da wir offenbar nicht die gleichen Vorstellungen von unserem Workcamp mitgebracht hatten. Trotzdem hatten wir alle zusammen eine Menge Spaß und jeder konnte neue Freunde aus fremden Ländern hinzugewinnen.
Děkuji Tschechien – für diese schöne Zeit!
Für mich war das Camp eine gute Möglichkeit, um von meinem normalen Alltag abzuschalten, viel in der Natur zu sein und eine schöne Zeit mit anderen jungen Leuten zu verbringen. Schon drei Wochen Leitungswasser trinken, auf dem Boden schlafen, auf Holzbänken sitzen und im Container duschen, haben dazu geführt, dass ich mein sauberes Zuhause und meine Privatsphäre wieder um einiges mehr zu schätzen weiß."
Anika (23, Freiwillige)
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