28. Juni 2019

Als Gruppenleitung auf der Grimburg (Deutschland)

Clémentine kommt aus Paris und macht zur Zeit einen Europäischen Freiwilligendienst im IBG-Büro in Stuttgart. Zu ihren Aufgaben gehört unter anderem auch die Unterstützung der Workcamps, die der Verein in Deutschland organisiert. Im Frühjahr war sie deshalb für zwei Wochen auf der schönen Grimburg und hat dort eine Gruppe internationaler Freiwilliger koordiniert:

"An einem sonnigen Sonntag im Mai bin ich mit vollem Rucksack mit dem Zug nach Trier gefahren. Nachmittags habe ich mich in ein gemütliches Café in der ältesten Stadt Deutschlands gesetzt und habe nochmal mein „Camp Leaders' Manual“ durchgelesen, damit ich alle wichtige Informationen und Ideen frisch im Kopf für die nächsten Tage habe.

In der Tat war ich nur einen Tag entfernt von meiner allerersten Workcamp-Erfahrung als Campleitung. Das Workcamp fand auf der Grimburg in Rheinland Pfalz statt. In den 1970er war die alte Burg Grimburg (sie wurde 1150 erbaut) in Ruinen und eine Gruppe von Ehrenamtlichen hat sich damit beschäftigt, die Burg wiederaufzubauen. Sie haben 1978 den Förderverein Burg Grimburg e.V. gegründet und seitdem halten die ehrenamtlichen Mitglieder des Vereins das Gelände und die Burg in Stand. Die Partnerschaft zwischen IBG und dem Verein existiert schon seit 7 Jahren. Jedes Jahr kommt eine Gruppe von internationalen Freiwilligen, die in einem alten Turm der Burg wohnt und bei der Pflege und dem lokalen Leben des Ortes hilft.

Das Projekt 2019 bestand tatsächlich aus 2 großen Teilen und zwar auf der einen Seite den Verein bei dem lokalen Fest für den Vatertag zu unterstützen und auf der anderen Seite unterschiedliche Wartungsarbeiten rund um die Burg durchzuführen. Wir waren eine Gruppe von 10 Teilnehmenden, die aus Hong Kong, Vietnam, den USA, der Türkei, Russland, der Ukraine und Frankreich stammten und wir haben zehn Tage lang ohne Internet, ohne Handy-Empfang und ohne Auto zusammen gelebt und gearbeitet. 

Am Montag kamen die weiteren Freiwilligen an und am Donnerstag fand das Vatertagsfest auf der Burg Grimburg statt. Das heißt am Dienstag und Mittwoch haben wir die Burg dafür vorbereitet.

Wir haben Tische und Bänke eingerichtet, ein Banner aufgehängt, verschiedene Plätze des Burg-Geländes geputzt (Pavillon, Hexenturm, weißes Zelt) und das Gelände gepflegt (Löcher stopfen, den Rasen mähen, das Unkraut in der Burg entfernen, den Müll einsammeln…). Am Vatertag haben wir dann mit allem Möglichen unterstützt: das Verkaufen von Getränke, Schwenken, Kuchen und Kaffee. Wir haben den Vorrat von Getränke und Kaffee im Auge behalten und waren für das Abräumen und Spülen von Geschirr verantwortlich. Da wir am Vatertag viel gearbeitet haben, wurde den Tag danach entspannt. Wir haben aufgeräumt und alles sauber gemacht. Am kommenden Wochenende hatten wir frei und von Montag bis Mittwoch wurde die Arbeit auf der Burg fokussiert. Wir haben weiter Gras gemäht (es gab leider nur einen Rasenmäher, den wir benutzen durften), einen Zaun gestrichen, eine große Tür abgeschliffen und das Unkraut auf der Terrasse weitergejätet. Im Großen und Ganzen waren die letzten 3 Arbeitstage ziemlich leicht. Zum einen gab es nicht so viele Werkzeuge, das hieß es konnte nur eine Person geben, die/der gemäht hat, nur eine, die/der abgeschliffen hat und nur zwei, die gestrichen haben. Der Rest der Gruppe musste weiter jäten. Gleichzeitig war es sehr heiß, aber unsere Projektpartner waren zum Glück flexibel und sagten, dass wir in der Hitze nicht zu lange arbeiten mussten.

Die Stimmung in der Gruppe war sehr gut. Da wir eine eher kleine Gruppe waren, haben wir es geschafft, jede Entscheidung zusammen zutreffen.

Jede Aufgabe wurde der ganzen Gruppe vorgestellt (und nicht nur den Frauen das Abspülen und den Männern den Banner aufhängen...) und jede_r konnte sich für jede Aufgabe melden. Was die Freizeit betrifft, ging es genauso: Ich habe alle Möglichkeiten vorgestellt, wir haben zusammen diskutiert und einen Konsens erreicht. In einer Nacht sind wir 1,5 Stunden nach Gusenburg gelaufen, weil es dort ein Irisches Fest gab. Als wir angekommen sind, haben wir erfahren, dass den Eintritt 9 Euro pro Person kostet. Wir haben zusammen überlegt, manche fanden es ein bisschen teuer. Am Ende waren wir uns einig, zusammen reinzugehen. Nur einer Teilnehmerin war der Eintritt immer noch zu teuer. Ich habe dann vorgeschlagen, dass jede_r einen Euro mehr zählt, so dass sie mitkommen konnte und alle waren damit einverstanden. Rückblickend hätte ich die Eintritte auch locker mit dem Camp-Budget bezahlen können, aber das wusste ich da noch nicht, denn das Fest war erst in der dritten Nacht und ich wollte lieber nicht zu viel vom Budget schon ausgeben.

Fast jeden Abend haben wir am Lagerfeuer zusammen gesessen, getrunken und Spiele gespielt. Diese Momente haben das Gruppengefühl und den Zusammenhalt noch gestärkt.

Trotz der langen Nächte gab es am nächsten Tag nie Probleme für die Gruppe aufzustehen. Alles easy. Die Gruppe war außerdem sehr selbständig. Wir haben keinen Putzplan oder Küchen-Plan eingerichtet. Das Abräumen, Wasser-abholen, Holz holen und Geschirr spülen wurde spontan jeden Tag neu verteilt. Ich habe darauf geachtet, dass die Aufgaben fair verteilt waren, aber ich musste fast nichts dafür machen. Auch wenn manche anfangs ein bisschen faul waren, haben sie nach kurzer Zeit mitgeholfen, weil alle anderen auch mit angepackt haben. Es gab auch stille Momente. Während dieser Ruhephasen wurde Musik gespielt, manche haben Bücher gelesen, Tagebuch geschrieben, und am heißesten Tag hat jede_r sich mittags eine gemütliche Ecke gesucht und Mittagsschlaf gemacht. Zu anderen Zeiten haben wir UNO gespielt und viel über uns und unsere Kulturen geredet, viel über Politik diskutiert und auch sehr viel gelacht. Beim gemeinsamen türkischen Abendessen hat jede_r von uns drei Fragen in einer Tischrunde beantwortet „What do you like about your country/the place you call home/what you call your culture?“, “What do you dislike?” und “Tell us about one place you love in your country”. Das war sehr spannend und ich habe viel gelernt. Außerdem werden wir uns immer an die Begriffe „Stubbi“ und „Schwenken“ erinnern!

Ich fand es besonders schön, mit welcher Beharrlichkeit wir stundenlang zusammen Volleyball gespielt haben und die Geduld zu sehen, die alle den anderen gegenüber gezeigt haben.

Gruppenvolleyball ging so: Wir standen alle in einem Kreis und eine Person stand in der Mitte - vorzugsweise jemand, der/die gut war. Das Ziel war es, so viele Pässe wie möglich zu schaffen. Wir hatten alle sehr unterschiedliche Niveaus. Anfangs waren wir zusammen schlecht und es war ein bisschen frustrierend für diejenigen, die besser gespielt haben. Aber nach und nach sind wir besser geworden. Ich fand diese Momente wirklich schön, weil keiner aufgehört hat. Wir waren immer die ganze Gruppe dabei und wir sind wirklich zusammen besser geworden. Als wir begonnen haben, haben wir nicht mehr als 22 Pässe geschafft und am Ende haben wir zwei Mal 62 erreicht!

Der letzte Abend muss auf jeden Fall auch unter den Highlights genannt werden! Unsere Projektpartner Iris, Michael, Gerhardt und Wolfgang haben alles Mögliche für uns organisiert; Schwenken, Salatbuffet, Getränke und jede_r von uns hat einen Briefumschlag mit einer Karte bekommen und dazu noch eine Engel-Puppe, und Kekse. Drei Jungs aus der Gruppe haben sich herausgefordert in weniger als 2 Minuten den Burgturm hinauf und wieder zurück zu laufen. Ach, und am letzten Tag hat jede_r von uns noch Briefe an die anderen Teilnehmer_innen geschrieben. Die Briefe zu schreiben und dann meine zu lesen, das war für mich herzweichend!

Meine größte Sorge als Gruppenleitung war es zu schaffen, jede Stimme zu hören und darauf zu achten, dass niemand sich ausgegrenzt fühlt und jede_r eine Rolle in der Organisation des Camps spielt.

Tatsächlich ist die Gruppe sehr gut zusammengekommen und ich hatte gar nicht so viel zu tun, um das Ziel zu erreichen. Ich habe mir auch ein bisschen Gedanken wegen der Getränke gemacht. Es gab Leute, die Lust hatten, unbegrenzt Bier zu trinken und andere, die nicht so viel getrunken haben. Ich wollte nicht, dass die Situation irgendwie unfair ist, z.B. mit dem Budget. Aber am Ende hat das gut gepasst und wir hatten sogar noch Geld übrig. Letztendlich war eine der größeren Herausforderungen vielleicht, zu zehnt in dem heißen Turm zu schlafen. Es gibt zwar Betten (was top ist!) aber die Matratzen waren nicht soo bequem und es gab vor allem kaum frische Luft da oben. Und ja, die Zecken waren eine Herausforderung! Es war nicht einfach, allen zu erklären, dass Zecken gefährlich sein können und gleichzeitig zu sagen, sie sollten nicht in Panik geraten. An zwei Tage war es ganz schlimm; zwei von uns haben ganze 5 Zecken gehabt, 2 haben 2 gehabt und einer eine. Ich habe sie alle mit einer Zeckenzange entfernt, aber das war viel Verantwortung.

Was ich in dem Camp über mich selbst gelernt habe...

Ich bin immer neugierig und habe hier neue Interessen entdeckt: Die Geschichte Hong-Kongs und die aktuellen Ereignisse dort zum, Beispiel, oder die Geschichte der Hexen-Verfolgungen in Europa. Das war für mich einer der besten Teile, die Geschichte der Hexenprozesse kennen zu lernen, die in der Gegend und selbst auf der Burg über 100 Jahren (zwischen 1520er und 1630er) stattgefunden haben. Das Thema interessiert mich besonders, da ich im Moment ein Buch darüber lese. Außerdem natürlich Gruppen-Volleyball! Durch das Camp habe ich erfahren, dass ich die Fähigkeit habe eine respektvolle, offene und entspannte Atmosphäre zu schaffen. Natürlich bin ich nicht alleine dafür verantwortlich, aber anfangs hat die Campleitung eine wichtige Rolle und ich glaube dass, sie/er einen bestimmten Rahmen schafft, in dem sich die Gruppe entwickelt.

 Diese 10 Tage waren ein zeitloser Exkurs, während dem wir fast immer draußen gewesen sind. Ich hatte seit langem nicht mehr so viel am Tag gelacht und meine Neugierde wurde jeden Tag mehr als befriedigt."

Clémentine (29, Freiwillige über das Europäische Solidaritätskorps)

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