05. Juli 2010

3 Monate an der Sanmaeul Highschool auf Gangwha-do (Südkorea)

안녕하세요! – Annyong haseyo! Nachdem ich das Workcamp-Projekt gefunden habe, muss ich mich erst einmal vergewissern, wo genau Südkorea eigentlich liegt. Ich bin überrascht – es ist viel weiter nördlich als ich dachte.

Im Norden grenzt es an Nordko­rea, im Westen ist China nicht weit und im Osten liegt das Nachbarland Japan. Auch hatte ich nicht erwartet, dass Südkorea so bergig ist und ähnlich wie Deutschland ein ausgeprägtes 4-Jahreszeiten-Klima hat. Mit relativ wenigen Vorkenntnissen über Südkorea setze ich mich Anfang April ins Flugzeug und komme nach nur 10 Stunden Flug in Seoul an – die erste Begegnung mit der südkoreanischen Kul­tur mache ich bereits auf dem Flug: Im Flugzeug bekomme ich doch tatsächlich Hausschuhe! Ich bin etwas überrascht, freue mich aber vor allem, weil ich mich so fast wie zu Hause fühle. Später stelle ich dann fest, dass es in Südkorea üblich ist sich vor Betreten eines Raumes – egal ob Klassenzimmer, Wohnung oder Restaurant – der Schuhe zu entledigen.

Um mein koreanisches Flugzeugabendessen korrekt zuzubereiten, beobachte ich meine Nachbarin und tue es ihr gleich. Fast auf jeden Fall: ich mische nur ein Drittel der Pepperpaste (und nicht die ganze Tube) unter meinen Reis und finde es auch so ziemlich scharf. So bekomme ich einen kleinen Vorgeschmack auf das Essen, das mir in den darauffolgenden Tagen und Wochen vorgesetzt wird. Mit der Zeit gewöhne ich mich an die Schärfe und ebenso an Kim­chi (= halbvergorener Chinakohl). Kombiniert mit der obligatorischen Suppe, Reis, Fisch, Meeresfrüchten, verschiedenem Gemüse und mit viiiiiel Knob­lauch zubereitet, finde ich das Essen meistens richtig lecker. Das Essen mit Stäbchen klappt nach ein paar Wochen so gut, dass mir auch Fisch, der noch entgrätet werden will, keine Angst macht. Etwas anders schaut es mit der koreanischen Sprache aus: Ich kann zwar die Schriftzeichen sowohl lesen als auch schreiben, jedoch verstehe ich nur selten, was ich da entziffere.

Fast 3 Monate verbringe ich gemeinsam mit Leo aus den USA als Freiwillige an der Sanmaeul Highschool auf Gangwha-do. Von Seoul aus ist die kleine Insel, die von Landwirtschaft geprägt wird, mit dem Bus in 1,5 Stunden zu erreichen.

Die Sanmaeul Highschool ist eine alternative Schule, die etwas anders funktioniert als die typischen Highschools im Land. Die Zeit an der Highschool ist für die meisten südkoreanischen Schüler*innen kein großer Spaß – oft sind sie 10–14 Stunden an der Schule und büffeln für ihre Abschlussnote. Der Druck der von Eltern, vom System, von der Gesellschaft ausgeübt wird ist immens – es geht hauptsächlich darum einen Platz an einer möglichst angesehenen Universität zu bekommen. Zeit für kreative Tätigkeiten, Sport und Musik bleibt da kaum. Genau diese Bereiche, sowie Ethik, Philosophie und Dis­kussionen über soziale Problematiken werden an der Sanmaeul Highschool gefördert. Diese Ausrichtung schlägt sich nicht nur im Stundenplan nieder, viele Schüler*innen engagieren sich auch in ihrer Freizeit ehrenamtlich und setzten sich kri­tisch mit gesellschaftlichen und politischen Geschehnissen auseinander.

Zudem werden die Schüler*innen im ökologischen Anbau unterrichtet und es wird Wert darauf gelegt, dass nicht nur das Verhältnis zwischen Schüler*innen und Lehrer*innen und unter den Schüler*innen harmonisch ist, sondern auch die Natur geachtet wird. So sind zum Beispiel die Schulgebäude aus Lehm, Stei­nen und Holz gebaut, Strom wird mit der Solaranlage erzeugt und zwei weitere Ökotoiletten sind gerade im Bau. Am Schulfest werden wir gemeinsam mit Eltern, Schüler*innen und Lehrer*innen die kleinen Reissetzlinge nicht wie üblich mit einer Maschine sondern per Hand pflanzen…

Mein Arbeitsalltag – nein, eigentlich kann ich es nicht „Alltag“ nennen, da fast jeder Tag eine kleine Überraschung oder Abwechslung bringt: sei es ein Lehrer, der uns nach einer Stunde Gartenarbeit in seinen Pickup verfrachtet und uns um 10 Uhr Reiswein serviert; sei es ein Ausflug mit den Schüler*innen zur Feier eines Gedenktages in Seoul oder ein Spielenachmittag mit den Schüler*innen…

Wenn wir doch einmal zwei, drei oder vier Stun­den mit Unkraut jäten beschäftigt sind – das Schulgelände bietet genügend Raum dafür – dann ist es nicht außerge­wöhnlich, dass sich der Direktor der Schule zu uns gesellt und uns beim gemeinsamen Unkraut jäten ein paar Wörter Koreanisch beibringt. Im Englischunterricht sind wir auch fest eingeplant und verschiedenen Klassen zugeteilt. Sobald der Lehrer Grammatik auf Koreanisch erklärt oder ich nicht als Märchenerzählerin vor der Klasse stehe, versuche ich mir ein paar Namen einzuprägen. Gar nicht so leicht, da sie beim ersten Hören sehr ähnlich klingen. Ange­spornt werde ich jedoch von den Schüler*innen, die mich meist mit einem Strahlen belohnen, wenn ich sie mit ihrem Namen anspreche und ihn dazu noch korrekt ausspreche.

Oft verbringe ich nicht nur meine Vormittage an der Schule, sondern bleibe auch am Nachmittag oder Abend dort: Das allwöchentlichen Fußballspielen mit meiner Mädelsmannschaft macht mir richtig Spaß, im „Farming-Unterricht“ komme ich mit den Schüler*innen ins Gespräch und in der Yogastunden komme ich mir im Vergleich zu den Schüler*innen total ungelenkig vor, freue mich aber etwas Bekanntes in der Ferne angetroffen zu haben.

Alles in allem genieße ich die Abwechslung vom Unialltag sehr und sauge die vielen neuen Begeg­nungen und Eindrücke von unseren Ausflügen oder hier an der San­maeul Highschool auf.

Spazier­gänge durch die Reisfelder in der Umgebung, bei denen ich die Kleinbauern bei ihrer Arbeit beob­achte und sehe, wie Reisanbau funktioniert. Unendliche viele fluoreszierende Schilder und Leuchtreklame in Seoul, deren Aussage ich nicht verstehe. Farbenfrohe buddhistische Tempel, die für Buddhas Geburtstag am 28. Mai, die mit unzähligen bunten Lampions und Laternen geschmückt sind. „Bodylanguage-Unterhaltungen“, wenn meine wenigen Wörter Koreanisch und das Englisch meiner Gesprächspartner*in mal wieder nicht ausreichen… Immer wieder ein unbekanntes leckeres Gericht – die Auswahl an „Side dishes“, die dazu serviert wird ist manchmal überwältigend.

Spuren hinterlassen wir nicht nur im Wald, wo wir kleine Waldwege (die einmal zu Campingplätzen führen sollen) machen; Spuren hinterlasse ich hoffentlich auch an der Sanmaeul Highschool – auf jeden Fall hatte ich in der letzten Zeit das Gefühl richtig dazuzugehören und integriert zu sein. Der Abschied am nächsten Freitag wird mir deswegen wahrscheinlich nicht leicht fallen, auch wenn ich mich schon darauf freue etwas mehr von Südkorea zu sehen und dann nach Deutschland heim zu kommen.

Ich hoffe, dass ich euch mit den geschriebenen Zeilen einen Einblick in mein Leben hier geben konnte und Südkorea, das auch mir vor 3 Monaten noch so fremd war, ein bisschen näher gerückt ist.

Lena (25, Freiwillige)

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